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Dies ist die Originalseite des Entdeckers und Entwicklers der Quantum Logic Medicine
Prof. Dr. med. Walter Köster
Fachartikel: Zwang und „Hexen-Schuss“. Der lineare Patient in altchinesischen Denkmodellen.
Erschienen
Summary
Compulsion gets pathologic only if there is a trait to insist on it. There can be found an analogon to the strategic trait so-called Liver meridian in the Traditional Chinese Medicine (TCM). Getting that trait pathological extent in TCM can activate a correcting system, the so-called gall bladder meridian, with specific symptoms expressing in common a picture of compulsion and its correction. As examples there are listed torticollis, migraine, gall bladder colic, attacks like asthma attack, sensitivity to the weather, sciatica. An ancient specific example out of a not Chinese culture underlines the psychosomatic connection found out by the Chinese. According to the experiences of the author result a deeper and quicker diagnosis and treatment considering that background too in the everyday consultations.
Key words: compulsion neurosis – Liver meridian – Gall bladder meridian – linear strategic personality – migraine – sciatica
Zusammenfassung
Zwang wird erst pathologisch durch das Beharren auf ihm. Analog dazu findet sich in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ein strategischer Wesenszug, der so genannte Lebermeridian. Nimmt dieser pathologische Ausmaße an, so kann er in der TCM ein korrigierendes System aktivieren, den so genannten Gallenmeridian, mit spezifischen Symptomen, die gemeinsam ein Bild des Zwanges und dessen Korrektur ausdrücken. Als Beispiele werden Torticollis, Migräne, Gallenkolik, Attacken wie der Asthmaanfall, Wetterfühligkeit, Ischialgie aufgeführt. Ein uraltes Beispiel aus einer nicht chinesischen Kultur unterstreicht den von den Chinesen herausgefundenen psychosomatischen Zusammenhang. Entsprechend den Erfahrungen des Autors werden Diagnostik wie Therapie tiefschürfender und rascher, bezieht man diesen hintergründigen Zusammenhang in das Denken der alltäglichen Sprechstunde mit ein.
Schlüsselwörter: Zwangsneurose – Lebermeridian – Gallenmeridian – linear strategische Persönlichkeit – Migräne – Hexenschuss.
Modelle des Zwanges
Zwang ist, wenn jemand Bewusstseinsinhalte nicht loswerden kann, obwohl er sie gleichzeitig als inhaltlich unsinnig oder wenigstens als ohne Grund beherrschend und beharrend beurteilt (1). Diese Definition Schneiders hält das renommierte „Handwörterbuch der Psychiatrie“ von Battegay (2) für die bisher treffendste Definition des Zwanges. Die genaue Betrachtung dieser Definition eröffnet unerwartet konkrete psychosomatische Aspekte, die den alten Chinesen geläufig waren.
Nur beharrender Zwang ist pathologischer Zwang
Bei Zwang beherrscht folglich ein Bewusstseinsinhalt in beharrlicher Weise einen anderen Bewusstseinsinhalt, der gleichzeitig existiert und der von dessen Sinn abweicht. Führen wir uns dies an einem Beispiel vor Augen. Den Zwang, sich zu waschen, darf man in unserer Kultur getrost als etwas Natürliches betrachten – wenn er vorübergeht! Denn ohne das zwingende Gefühl, hin und wieder sei eine Körperreinigung sinnvoll, werden zumindest geruchsbedingt kulturell soziale Beziehungen irritiert. Pathologisch wird Zwang erst, wenn er beharrt und zeitlich insistiert. Wird nämlich das Waschen zu einer alle zehn Minuten durchgeführten Pflichtübung, so fällt es in zeitliche Phasen, in denen eigentlich ein anderes Tun fällig wäre, etwas dann Sinn-volles. Dann wäre der Sinn des Waschens, das Reinigen, bereits erfüllt durch das zehn Minuten zuvor vorgenommene Waschen. Dann würde das „vernünftige“, sinnvolle Denken als der andere Bewusstseinsinhalt natürlicherweise dringlich die Korrektur fordern, nicht erneut zu waschen, und so zu dem das Waschen fordernden Bewusstseinsinhalt in Gegensatz treten.
Pathologisches Zwangsbeherrschen entsteht so aus dem Beharren eines Bewusstseinsinhaltes, der zu seiner Zeit durchaus sinnvoll gewesen sein mag, dessen Sinn nun aber erfüllt und – zumindest passager – vorüber ist. Sein Weiterbestehen führt zur Gleichzeitigkeit zweier konkurrierender Inhalte, an und für sich gewiss nichts Seltenes. Doch beharrt er dominierend und führt so zur Unfähigkeit des Ausgleichs zwischen beiden, zur Starrheit des pathologischen Zwanges.
a. starre, lineare Erwartungshaltung,
an innere vor-gegebene
Realität angepasst, Stratege
b. auf die äußere
Realität reagierende
Haltung
c. Differenz zwischen
a und b,
Grad der Ent-zweiung
Schema 1
Die starr-„lineare“ Erwartungshaltung
Schematisch (siehe Schema 1) lässt sich dies gut veranschaulichen. Das träge Beharren, ähnlich dem physischen Zustand des Trägheitsgesetzes, führt zur starren Geraden „a“ statt zur zeitlich abhängig von den Gegebenheiten dynamischen Variation „b“ (3). Je intensiver und länger auf der Wiederholung des Waschens beharrt wird, umso wahrscheinlicher wird eine erhebliche Abweichung „c“ von den anderen, vielleicht dynamischeren Bewußtseinsinhalten „b“ entstehen, die dementsprechend einen anderen Richtungssinn vorgeben und natürlicherweise die des beharrenden Bewußtseinsinhaltes „a“ als unsinnigen Inhalt wird nur dadurch zum Zwang, dass andere, wesentliche Bewusstseinsinhalte dieses Beharren als unsinnig erkennen, es dennoch nicht wenigstens beeinflussen können und diesem unterliegen.
Linearität auf der Autobahn
Hinter diesem Beharren könnte eine Angst stehen, eine innere Enge, die wie seitliche Barrikaden jegliches Ausweichen und jeden „Ausrutscher“ zur Seite hin abblockt. Dieses Bild wird geradezu gemalt von den Autobahnzwängen, bei denen das zwingende Verbot, von der Autobahn beliebig abzufahren oder gar auf ihr zu wenden und damit die Richtung, den (Richtungs-)Sinn zu ändern, zur hilflosen Panikreaktion führen kann. Eine Institution zwingt hier wie eine Übermacht beharrend ihren Sinn, ihre Richtung auf und verhindert somit, eine eigene Korrektur oder Abweichung ihr vorzunehmen, nachdem einmal die Autobahneinfahrt gewählt wurde. Die Wahl „von gestern“ fixiert hier beharrlich das Heute, ihr Morgen.
a. starre, lineare Erwartungshaltung,
an innere vor-gegebene
Realität angepasst, Stratege
b. Dynamisch an
Realität angepasst
variierende Haltung
c. Differenz zwischen
a und b,
Grad der Ent-zweiung
a und b
Schema 2
Zukunftsangst als Mutter von Zwang und Strategie
Dieses Beharren des Gestern hinein in das Morgen beim Zwang muss dem die zeitliche Veränderung in den Mittelpunkt stellenden Paradigma der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) notwendigerweise als zentraler Parameter der Zwangsstörung erscheinen. Wann wird das Gestern in das Morgen beharren? Es wird zunächst einmal dann zum Zuge kommen, wenn das Morgen gefürchtet wird; dann soll eine entsprechend Strategie dem zu erwartenden negativen Ereignis vorbauen. Der klassische altchinesische Gelbe Kaiser postuliert im Grundwerk der Akupunktur NeiKing einen Wesenszug, der „die Funktion des Generals“ innehabe und „verantwortlich für Fragen der Strategie“ (4) sei. Der hieran Erkrankte habe „Furchtgefühl“, als wartet, er auf eine bevorstehende „Inhaftierung“ (5). Hier zeigt sich der Grund der Strategie als eine in die Zukunft projizierte Negativerwartung.
Strategie und Erwartung – der Lebermeridian
Erwartung ist eine Form beharrlichen Wartens. Dieses Beharren kann man sich als lineares Verharren auf einer Zeitachse vorstellen, als den Versuch einer scheinbaren Vorwegnahme der Zukunft. Somatisch fanden die Chinesen diese in die Zukunft hineinragende Funktion auch in der Leber verwirklicht (6). Auch in ihr wird im Stoffwechsel strategisch umgebaut in der Erwartung, dass dessen Wirkung sich morgen entfaltet. Folglich nannten sie bei der Akupunktur den Hautbereich, von dem sie Wechselwirkungen mit dieser strategischen Funktion erwarteten, die „auch der Leber zugeordnete Funktionsbahn“, was sich bei uns historisch als Lebermeridian begrifflich eingebürgert hat.
Strategie und unerwartete Reaktion – der Gallenmeridian
Doch bleibt es nicht lange bei der Strategie allein. Im Handlungsablauf ist der ungelöste kindliche Konflikt zwischen autonomem aufbegehrendem Handeln-Wollen und heteronomem sich unterwerfendem Handeln-Müssen wirksam, schreibt Quint (7) über den Zwang. Das Handeln-Wollen als Strategie des Ichs findet ein mächtiges Gegenüber, das jedoch ebenfalls „als vom Selbst herkommend empfunden wird“ (2). Zwei gegensätzliche Kräfte innerhalb eines einzigen Systems – diese extreme Ambivalenz des Zwanges liegt dem im dualen Yinyang-System operierenden Denken der TCM sehr nahe. So wurde gegenüber dem strategischen der Leber ein weiteres Prinzip postuliert, in welchem sich die übergeordnete Funktion, z.B. das Über-ICH, im Sinne des Versuches der Korrektur der individuellen Strategie aus einer übergeordneten Position heraus verwirklichte. Hier sah der Gelbe Kaiser „die Funktion seines Richters“; es sei „dazu bestimmt, Ent-scheidungen zu treffen (4). Der Gelbe Kaiser ordnete es den Gallenwegen zu, die ebenfalls Aus-scheidungen treffen und zeitlich Überholtes, nicht mehr ins Heute Passendes eliminieren. Im gesunden Zustand bestand in diesem Denkmodell ein stetig fließender Ausgleich zwischen autonomem, aufbegehrendem Handeln-Wollen und heteronomem, sich unterwerfendem Handeln-Müssen (7).
Das Spiel von Leber- und Gallenmeridian
Im pathologischen Zustand führte ein Übermaß des strategischen Parts der „Leber“ zu einer Korrektur durch das Prinzip der „Galle“. In diesem Denkmodell zieht also der Zwang des Beharrens (Leber) den der zwingenden, übermächtigen Korrektur (Galle) nach sich. Aber auch ein übermütiges richterliches Prinzip (Galle) könnte auf der strategischen (Leber-) Seite des Ichs Zwänge hervorrufen, wie wir dies bei den Zwangsneurosen kennen. In beiden Fällen findet sich ein fixiertes Beharren, welches einem Bewusstseinsinhalt unsinnig erscheint und nach Korrektur ruft.
Bei der Wahl der Autobahnauffahrt programmiert das Leberprinzip das Befahren des nachfolgenden Autobahnteilstückes zwingend vor. So folgt selbstverständlich der tatsächlich vorhandene Zwang nach, welcher typischerweise zwischen zwei Ausfahrten keine Korrektur der Fahrtrichtung mehr zulässt. Diese die Zukunft zwingen wollende Wahl ruft im chinesischen psychosomatischen Denkmodell ebenso wie beispielsweise ein übermäßig programmierter Arbeitstag ohne entkrampfende, ausgleichende, individuelle Abweichungsmöglichkeiten die Strategie störende Korrekturmechanismen ins Leben, den Wesenszug des Gallenmeridians. Er ruft bei darauf sensiblen Menschen leicht Panikattacken hervor. Sie empfinden nur noch den konsequent aus der ursprünglichen Wahl hervorgehenden Zwang, nicht mehr so sehr die Wahl als dessen Ursache. Der Irrtum aus chinesischer Sicht läge hier im Beharren des Wählen-Wollens auch noch nach der Autobahnauffahrt, welches sich dann von der Realität als einem mächtigen Über-Ich beeinträchtigt fühlte, anstatt sie als zeitliche Konsequenz aus eigenem Handeln empfinden zu können.
Psychosomatische oder somatopsychische Aspekte
Torticollis bei zu linear-strategischer Haltung
Dieses Bild des Zwanges lässt sich nun aus altchinesischer Sicht geradezu spielerisch auf körperliche Krankheiten übertragen, bzw. in diesen wieder finden. Das Beispiel der Torticollis mag dies erläutern. Bei ihr erzwingt der Körper, nicht von der durch Muskelverspannung zwingend vorgegebenen Richtung der Kopfhaltung abzuweichen. Jemand kann eine bestimmte Richtung „nicht loswerden“, obwohl er sie gleichzeitig als inhaltlich unsinnig oder wenigstens als „ohne Grund beherrschend und beharrend beurteilt“ (1). Die durch die Torticollis erzwungene Kopfhaltung mag durchaus an sich sinnvoll sein, kaum jedoch ihr erzwungenes, beharrend beherrschendes Fortbestehen aus der Sicht des Bewusstseins des sich so gezwungen sehenden Menschen, dessen Ich sich intensiv, jedoch vergeblich gegen einen bahnbrechenden Impuls wehrt. (8).
Torticollis als körperliches Bild einer psychischen Funktion
Wer die begrifflichen Formulierungen solch Kranker anhört, wird nicht selten auf dessen innerpsychische Konfrontation stoßen, die ihm eine Übermacht über-fallartig und plötzlich spürbar werden lässt. Auch die Torticollis tritt typischerweise auf, blitzartig. In der TCM werden solch anfallartige Erkrankungen, die sich nach diesen Betrachtungen auch als über-mächtig, über-fallartig beschreiben ließen, dem erwähnten Wesenszug der Galle zugeordnet. Sie scheinen das Bild eines Abbruches einer unnatürlich überzogenen Erwartung zu malen, einer überlangen Geraden, die eine Spitzkehre „richterlich“, also von höherer und mächtigerer Warte aus, korrigierend nach sich zieht (Schema 1). Dabei ist interessant, dass nur der Gallenmeridian als Bahn auf der Haut einen blitzförmigen Verlauf voller Spitzkehren zeigt. Der Blitz als das Symbol der massiven Korrektur gestörter Ladungsverteilungen beschreibt geometrisch gerade diese gestörte Funktion: eine Gerade, dann deren Abbruch, wieder eine überzogene Gerade, wieder deren Abbruch usw. (Schema 2). „Zwangsvorgänge“ sind durch Wiederholungen gekennzeichnet, woraus sich erst recht das „Erleben des subjektiven Gezwungenseins ergibt“, schreibt Quint (2).
Gallenkolik als Konsequenz überzogener Erwartung
Dies zeigt sich auch an anderen Erkrankungen des Gallenmeridianes wie der unerwartet einfallenden Gallenkolik. Ein solcher Stau der aus-scheidenden Gallenwege entspräche einer Schwäche der korrigierenden Ent-scheidungsfunktion (Galle). Ohne Korrektur entstände statt des dynamisch fließenden Reagierens ein zu gradliniges Beharren im Status quo “a“ zunächst bis hin zur Versteinerung im Sinne einer Cholelithiasis. Übersetzt in psychischen Begriffen: Die lineare, strategische Erwartung schiene die an der Realität korrigierende Konsequenz bezwingen zu wollen. Daraus lässt sich die Notwendigkeit einer heftigen Korrekturfunktion „d“ auch körperlich ablesen, die die überzogene Erwartungshaltung dann in – wegen der Deutlichkeit oder Differenz „c“ zwischen Erwartung und Realität – heftiger Weise nach sich zöge.
Trotz dieser somatischen Unruhe liegt der Gallenkolikpatient typischerweise ruhig (9) in seinem Bett ganz im Gegensatz zu dem mit der Nierenkolik. Die Gallenkolik scheint Unruhe zu repräsentieren, bzw. als Symbolfunktion körperlich auszudrücken und dadurch psychisch wegzunehmen.
Erwarten Migränepatienten Zukunft zwingend?
Migräne- wie Asthmaattacken und plötzliche allergische Reaktionen fallen ebenfalls in diesen Bereich. Bei beiden Krankheitsgruppen lassen sich nach der Erfahrung des Autors (6) hohe (überhöhte?) Forderungen als Bewusstseinsinhalte finden. Sie rufen im altchinesischen Denken geradezu nach einer Korrektur. In dieser Modellvorstellung scheint die überlange Gerade der Erwartung nach einem seitlich ausfahrenden (Haut-) „Aus-schlag“ in Richtung Korrektur zu verlangen. Die überzogene Erwartung scheint Wahrnehmungsprobleme anderer Inhalte der „Realität“ zu entwickeln. Dann berichtet der Patient, die Attacke habe ihn unvorbereitet „wie der Blitz aus heiterem Himmel“ getroffen. Mit aggressiven Worten wie „einschießend“ oder „jäh überfallend“ wird hier oft die dargestellte Funktion (b) nachgezeichnet. Diese trügerische „Ruhe des nur scheinbar heiteren Himmels“ als beharrendes (Leber-) Element, das in seiner linearen Erwartungshaltung seitlich wie durch Scheuklappen verbarrikadiert und wahrnehmungs-erblindet zu sein schein, darf als ein Spezifikum gelten, das den Gallenmeridian herausfordert. Wen wundert da das typisch erhöhte Auftreten von Migräneattacken an ruhigen Wochenenden, bevorzugt nach längerem Ruhen; dann fällt die stressige Attacke genau in eine Phase der erwarteten Entspannung hinein. Das Paradoxon „Unruhe in der Ruhe“ wird man hier immer wieder treffen, wie bei jenen Herzrhythmusstörungen, die immer in der Ruhe quälend attackieren, oder dem Restless-Legs-Syndrom als Bild der Korrektur überzogener beharrlicher Ruhe. Diese Patienten scheint der Versuch zu verbinden, Zukunft durch Er-wartung zu zwingen, auf Teufel komm raus, wie der Volksmund sagt. Dem Teufel entspräche die stürmische Gallenmeridiansymptomatik.
Wetterfühligkeit als Hinweis
Tritt dann der Sturm ein nach der trügerischen Ruhe, ist das Gallenprinzip in seinem Element wie sein meteorologisches Analogon, der un-erwartbare, weil unberechenbare Wind bei jähem Wetterwechsel. Auch Berechenbarkeit ist eine Form von Trägheit, sie ruht konstant oder träge auf einer vorgegebenen, mathematisch berechenbaren Funktion. Wer auf Veränderlichkeiten, die das Feld der Berechenbarkeit verlassen, mit Beschwerden reagiert, wer über Wetterfühligkeit oder genauer Wetterwechselfühligkeit berichtet, dem gegenüber darf sich unsere derzeitige Medizin hoffnungslos überfordert fühlen. Für die TCM aber ist dies ein eindringlicher Hinweis auf eine Störung im Bereich des Gallenprinzips, psychisch wie somatisch, sowohl bezüglich seiner fordernden Haltung gegenüber der Zukunft als auch seiner Tendenz zu attackierenden Gallenmeridiansymptomen.
Der Hexen-Schuss in der Bibel
Auch in unserer Kultur ist der Kampf zwischen überzogener Strategie und hilfloser Korrektur psychosomatisch vor Jahrtausenden bereits geradezu altchinesisch beschrieben worden. Im Alten Testament (10) ringt Jakob „a“ mit einem Engel „d“ und man höre und staune, er ringt diesen nieder. Der Engel als Symbol des „guten“ Boten, der eine Nachricht bringt, die in der Regel eine Korrektur nach sich ziehen wird, da sie zum Besseren führt, wird problemlos niedergerungen. Da Jakob „a“ starr fixiert an seiner bisherigen, nach Auffassung beispielsweise des „Über-Ich“ „b“ – wenn wir diesen Begriff hier einmal übernehmen wollen – überholten Auffassung festhält, resultiert eine Krankheit des Gallenmeridians: „und das Gelenck seiner Hüfte wart über dem Ringen mit ihm verrencket“ (10). Tatsächlich zählt die TCM seit Jahrtausenden Hüftgelenkserkrankungen zu den Gallenmeridianserkrankungen. Jakob malt in der Pathologie wie die meisten seiner Leidensgenossen die gestörte Funktion nach. Er kann schwer ab-duzieren, was gleichbedeutend ist mit dem Ab-weichen „d“ von der Geraden (Leber) „a“, sein Körper hingegen ist schräg verzogen wie eine dauernde seitliche Korrektur; von da ab „hinckte er an seiner Hüfte“ (11).
a. Strategisch-lineare Erwartungshaltung,
des Jacob
b. Dynamisch an
„Realität“ angepasst
variierende Haltung
c. Differenz zwischen
a und b,
Grad der Ent-zweiung
Voraussetzung für Kampf und
d. für Korrekturfunktion „Engel“
Schema 3
Wann (psycho-) somatisch – wann psychisch?
Hätte er dem Impuls des „Engels“, der in Schema 4 der Verbindung „d“ entspricht, gegen seinen Willen nachgeben müssen, so hätte sein Ich sich intensiv, jedoch vergeblich gegen einen sich bahnbrechenden Impuls wehren müssen (8). Wäre er dann Zwangsneurotiker geworden?? Nun aber haben sich wohl un- oder teilbewusste Impulse intensiv, jedoch vergeblich gegen einen bahnbrechenden Impuls des Ichs gewehrt, und es entstand eine Gallenmeridianserkrankung. Man darf wohl zumindest auch die Erkrankungen dieses Meridians als solche bezeichnen, bei denen sich Funktionen, z.B. des Über-Ichs kompromissarm übergangen sehen. Der Stratege des Leberprinzips „a“ setzt sich durch, und der Richter (Galle) hat psychisch „d“ das Nachsehen und verwirklicht sich (psycho-) somatisch „e“. In der pathologischen Zwangskrankheit läuft das Geschehen, wenn ich es recht verstehe, gerade anders herum. Hier scheint eine überstarke „Richter“-Funktion den planenden Strategen (Leber) zu sinnlosem Tun zu zwingen. Mit der Feststellung C. G. Jungs, das Bewusstsein sei offensichtlich mehr dem Linearen zugewandt als das Unbewusste (13), deckt sich die Erfahrung des Autors, dass die „Richterfunktion“ des Gallenmeridians in der Regel als unbewusste Antwort auf zu linear-strategisches Denken und Handeln des Bewusstseins entsprechend dem Lebermeridian zu werten ist.
a. strategisch-lineare Erwartungshaltung,
des Jacob
b. Dynamisch an
„Realität“ angepasst
variierende Haltung
c. Differenz zwischen
a und b als Grad der Ent-zweiung
Voraussetzung für Kampf und
d. für Korrekturfunktionen „Engel“
Schema 4
Ausfall der Korrekturfunktion (d) und Aufrechterhaltung von „c“ führt zu psychosomatischer Ersatzfunktion „e“ (12), die bei Bezwingen von „b“ durch „a“ als Torticollis, Migräne etc. bildhaft plötzliche Attacke, Starrheit, Richtungsänderung darstellt (Gallenmeridian) oder bei Bezwingen von „a“ durch „b“ eine Zwangsneurose herbeiführen kann.
Psychologische und altchinesische Denkmodelle
Übersehen sollte man nicht, dass die heutigen Denkmodelle des Zwangs und die der altchinesischen Paarung Leber/Galle keineswegs deckungsgleich sind. Dies ergibt sich schon aus dem statisch unidirektionalen und hierarchischen Aufbau gerade der Vorstellung Freuds einerseits und der der dualen und zeitlich fließenden Denkweise der TCM andererseits. Der TCM zeigt sich die pathologische Problematik eher im zeitlichen Verlauf, als Unzeitigkeit, wie beispielsweise dem Beharren gestriger Aspekte in das Morgen hinein entgegen deren Sinn, der in der TCM eine wesentliche Rolle spielt. Störungen werden in ihr auf die sinnvolle, zeitliche richtige Folge, also die Folgerichtigkeit hin akribisch untersucht. Hierarchische Störungen werden damit primär als zeitliche Störungen verstanden, da absolute Werte nicht gegeben scheinen, sondern alles im kontrollierten, aber fließenden Wechsel interagiert, der die Gesundheit zu garantieren scheint. In einem relativistischen Zeitalter, in dem sich die Zeitfrage so sehr in den Vordergrund gestellt hat, erscheint diese Betrachtungsweise wieder sehr „modern“.
Raschere Diagnose durch „Analoge Psychologie des Körpers“
Als große Stärke nimmt die TCM die Trennung Psyche und Soma nicht vor, sondern weiß Funktionen und deren Störungen auf beide Bereiche anzuwenden als eine Funktionsmethode oder, wenn man so will, wie eine „Analoge Psychologie des Körpers“. Damit lässt sich rasch und doch tiefschürfend aus somatischen auf mögliche psychische Zusammenhänge schließen und umgekehrt, um dann die so gewonnenen Aspekte weiter zu verfolgen. So ist beispielsweise das Zusammengehen von „strategischer Persönlichkeitsstruktur“ und Erkrankungen des Gallenmeridians zur Alltagserfahrung des Autors geworden. Dies hat seine psychosomatische Diagnostik nicht nur verfeinert, sondern gleichzeitig beschleunigt und ihn als ursprünglich sehr kritisch distanzierten Nachahmer überzeugt. Ein in einer solchen Situation initiiertes kurzes Gespräch mit dem Patienten über die Tatsache, dass man im Alltag leicht vergisst, dass das Müssen auf der Autobahn (fast) immer eine Folge eines Wollens sein dürfte, hat sehr oft Früchte getragen.
Betrachtet man die hier nur angerissenen, teilweise auffallend exakten psychosomatischen Reaktionen, so bleibt die so verstandene TCM in ihrer klaren Funktionalität eine Herausforderung für jede psychosomatische Wissenschaft. Sie könnte nach Meinung des Autors einer ganz andere Treffsicherheit und Tiefe bieten.
Dr. med. Walter Köster
Quellen:
(1) Schneider, K., Klinische Psychopathologie, Thieme, Stuttgart, 1959, zitiert in Quelle 2
(2) Handwörterbuch der Psychiatrie, hrsg. V. Battegay, Glatzel, Pöldinger, Rauchfleisch, 2. Aufl.., Ferd., Enke Verlag Stuttgart 1992, S. 665.
(3) Hier sei vor allem auf CG Jung verwiesen, z.B. GWBd. 8 „Die Dynamik des unbewussten“, Walther Verlag Olten u. Freiburg i.Br.
(4) Nuygen van Nghi, HoangTi NeiKing So Quenn, S. 203, Med. Literarische Verlagsgesellschaft mbH, Uelzen 1977.
(5) Nuygen van Nghi, HoangTi NeiKing So Quenn, S. 414, Med. Literarische Verlagsgesellschaft mbH, Uelzen 1977
(6) Anschaulich dargestellt in Walter Köster, „Spiegelungen zwischen Körper und Seele“: ein neues psychosomatisches Modell, entwickelt aus der chinesischen Medizin, TRIAS Verlag Stuttgart
(7) Handwörterbuch der Psychiatrie, hrsg. V. Battegay, Glatzel, Pöldinger, Rauchfleisch, 2. Aufl.., Ferd., Enke Verlag Stuttgart 1992, S. 666.
(8) Kuiper, P. C., „Die seelischen Krankheiten des Menschen“. Psychoanalytische Neurosenlehre, Hubert/Klett, Berlin 1969, zitiert in (2).
(9) Leger, Nagel, Chirurgische Diagnostik, S. 292, 2. Aufl.; Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York 1975.
(10) Das Alte Testament, Verleger Johann Georg Kota 1739, Moses 1. Buch, 32,25.
(11) Das Alte Testament, op.cit. Moses 1. Buch, 32,31.
(12) Walter Köster, Hahnemann und CG Jung – ein Denkmodell der Homöopathie, SS. 27 ff., Haug Verlag, Heidelberg 1992. Vergriffen. Weiter entwickelte Neuauflage 2009 im Quantum Logic Medicine Verlag Frankfurt am Main
(13) Carl Gustav Jung, GW Bd. 8, S. 85 ff, Walther Verlag Olten 1971.
„Ich glaube, dass Heilen auf nicht-materiellem Weg eine Zukunft ungeahnter Möglichkeiten hat, und ich glaube, dass der Bereich allmählich über das, was wir heute zu Recht oder Unrecht als funktionell bezeichnen, hinaus wachsen und auch alles Organische umschließen wird. Ich sehe die Morgenröte einer neuen Zeit vor mir aufleuchten, in der man gewisse chirurgische Eingriffe, zum Beispiel an inneren Gewächsen, als bloße Flickarbeit ansehen wird, voller Entsetzen, dass es überhaupt einmal ein so beschränktes Wissen um Heilmethoden gab. Dann wird kaum noch Raum sein für althergebrachte Arzneimittel. Es liegt mir fern, die moderne Medizin und Chirurgie irgendwie herab zu setzen, ich hege im Gegenteil große Bewunderung für beide, aber ich habe Blicke tun dürfen in die ungeheuerlichen Energien. …. Kräfte, die nicht allein funktionelle Störungen heilen können, sondern auch organisch bedingte, die sich als bloße Begleiterscheinung seelisch-geistiger Störungen herausstellen.“
Carl Gustav Jung (24)